Biografie
Hauptanliegen bleibt der Dialog von Festigkeit und Transparenz, von Struktur und Tiefe
Manfred Schling – 2021
Manfred Schling ist 1951 in Bad Salzuflen geboren, einer mittelgrossen Stadt in Ostwestfalen. Hier verbringt er seine Kindheit und Jugendjahre. Seine Schulzeit schließt er 1970 mit dem Abitur ab.
Als Wehrdienstverweigerer fährt er im Rahmen des Programms „Aktion Sühnezeichen“ nach Frankreich und arbeitet dort 18 Monate in einem Heim für schwererziehbare Jugendliche auf der Insel Tatihou im Cotentin. 1971 zieht er nach Berlin und beginnt dort parallel zwei Studiengänge. Zum einen, ein Romanistikstudium, zuächst an der Freien Universität, später dann an der TU-Berlin. Zur gleichen Zeit bereitet er seine Bewerbungsmappe für die Hochschule für Bildende Künste in Berlin (HfbK) vor und wird dort 1972 zum Studium der Kunsterziehung zugelassen. Neben den didaktischen, kunsthistorischen und erziehungswissenschaftlichen Fächern ist dort die praktische Arbeit in den verschiedenen Malklassen besonders prägend. Schling entschied sich für die Malklasse, geleitet von Fred Thieler, einem bedeutenden Vertreter des Tachismus in Deutschland. Schling erinnert sich gerne an diese Jahre der künstlerischen Ausbildung. Zurückblickend betont er die grosse künstlerische Autonomie in Thielers Malklasse, in der er seiner Vorliebe zum experimentellen Malen fröhnen konnte, insbesondere das Experimentieren mit den Materialien. In seinen Worten: „Vom Lehrer gab es keine Anweisungen, sondern nur Anleitungen, das eigene Tun zu hinterfragen.“
1978 wird Schling zum Meisterschüler ernannt, und nach einem weiteren Jahr erhält er 1980 ein Stipendium der Karl Hofer Gesellschaft, dem Verein der Freunde der HdK Berlin.1981 beendet er sein Referendariat mit dem 2.Staatsexamen in den Fächern Französisch und Kunsterziehung. Er entscheidet sich dann endgültig für eine künstlerische Laufbahn.
Seitdem lebt und arbeitet Manfred Schling in Berlin.
Seit den Anfängen seiner malerischen Tätigkeit in Berlin, positionierte sich Manfred Schling mehr am Rande denn im Zentrum der dortigen Künstlerszene, in der zu Beginn der 80er Jahre Figuration, Expressionnismus und Hedonismus dominierten. Bekannt unter dem Namen „Heftige Malerei“ oder auch „die neuen Wilden“ stellte sich diese Bewegung bewußt in Opposition zum Informel, zum Minimalismus und zum kritischen Realismus der 60er und 70 Jahre.
Die Verwendung von klaren, oft grellen Farben, der Rekurs auf elementare menschliche Formen in den Bildern und ein die Geste des malenden Künstlers betonenden Malstil waren ihr Markenzeichen. Mit ihren von groben Pinselstrichen bedeckten Grossformaten waren die Bilder dieser „Neuen Wilden“zugleich expressiv, figurativ, oft überdimensioniert: keine Form war ausgeschlossen.
Aber Manfred Schling kann und will sich nicht mit dieser neuen Tendenz identifizieren.
Trotz seiner persönlichen Teilnahme an der nach der Öffnung der Mauer sich schnell entwickelnden Berliner Kunstszene, entscheidet er sich für eine Malerei, die, der informellen Tradition folgend, auf jede äussere Referenz verzichtet. Sein Werk stellt seinen Beitrag zu dieser auch heute noch seine Arbeiten kennzeichnenden Tradition dar, ein Beitrag, den er heute als die Fortführung und Vertiefung eines Dialogs zwischen Festigkeit und Transparenz, Struktur und Tiefe versteht.
Rückblickend, erklärt er seine Ausrichtung so: „Farbexplosives Actionpainting war nie meine Sache, ich war immer mehr an den Nuancen und Beiläufigem interessiert“ (Schling 2011).
Es beginnt alles mit der Verwendung von Collagetechniken, mit denen Schling versucht, einer form- und strukturlosen Farboberfläche Kraftpunkte zu schaffen, an denen das Bild Orientierung findet. Die Collagen verändern die Bildfläche zum Objekt, der reine Farbraum der Malerei wandelt sich zu einer inneren Gegenständlichkeit. Ein Verweis auf eine äußere Realität entfällt, das Bild hat sich selbst zum Thema.
Schlings Werk ermöglicht die direkte Erfahrung des Bruches zwischen Zeichen und Bedeutung, einfach weil das Werk nie direkt sagt was es aussagt, in einem Wort, die Erfahrung der rätselhaften Natur der Kunst zu machen[…]man weiss zwar nicht was die Bilder von Schling aussagen, aber man weiss es trotz allem.
Rolf Tiedemann, 1984
Sprache und Schrift der Schlingschen Bilder sind keine anderen als die ihrer Materialien; indem aus ihnen das Bild hergestellt wird, werden zugleich sie zum Sprechen gebracht. Beredt sind die Materialien einzig, wo sie nicht bloße Materialien geblieben, sondern Bild geworden sind.
Rolf Tiedemann, 1984
Diese Thematik entwickelt und vertieft sich weiter mit der Verfestigung des Farbflusses, die der wachsenden Bedeutung der collagierten Elemente im Bild entgegenwirkt. Diese Verfestigung des Farbraums verwandelt die Malfläche zu einer Art Mauer, auf der diverse gestuelle Interventionen – Kratzer, Spuren Farbstriche – stattfinden können, die ihrerseits Strukturierungselemente auf der informell gebliebenen Farboberfläche schaffen (vertikale oder horizontale Linien, Kurven, Farbkontraste) und welche so die Collagen und deren Funktion ersetzen. Die in diese Zeit fallende „Entdeckung“ von Tàpies und dessen Arbeit haben Schling sicher in dieser Weiterentwicklung bestärkt.
Es entsteht eine Reihe von Bildern, die einen sich verstärkenden Farbgrund mit gestuellen Interventionen verbinden. Letztere werden zunehmend massiver und abrasiver. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, den Farbgrund durch die Verwendung verschiedener Materialien (Sand und Quartz- oder Marmormehl) zu verfestigen. Das Verhalten dieser neuen Elemente im Herstellungsprozess des Bildes schafft seinerseits neue Strukturierungselemente– Risse, Spalten, Schlitze, Zersplitterungen, Krater–, die nach und nach die gestuellen Interventionen das Malers ersetzen.
Ein Dialog entwickelt sich. Indem Schling versucht, das dem Trocknungsprozesses der verschiedenen Materialien innewohnende Zufällige zu kontrollieren und Richtung zu geben, greift er auf indirekte Weise in die Bildwerdung ein. Die stark verdünnten Farbflüsse von sich gegenseitig abstoßenden Öl- und Dispersionsfarben sickern unregelmäßig in die porösen Oberflächen und machen die Risse und Krakelüren des reliefartigen Bildgrundes sichtbar, bilden Zonen von Helligkeit und Dunkelheit und bringen so bewegte Strukturen hervor. Der Maler greift das so Entstandene auf und geht den Spuren nach, verstärkt diese mit weiteren Materialien. Wiederholte Auswaschungen entfernen nach und nach einzelne Elemente der Bildoberfläche und bringen so eine Vielfalt vorheriger Farb- und Materialschichten zum Vorschein. In diesem fortwährendem vom Maler gelenktem Prozess entsteht das Bild als Dialog zwischen Material und Transparenz, immer auf der Suche nach dem Gleichgewicht von Struktur und Tiefe. Das ist eine schwierige Arbeit, langatmig und oft zum Scheitern verurteilt. Aber die Freiheit des Malers darin ist umfassend.
Manfred Schlings Leinwände werden auf dem Boden liegend gearbeitet, wo sie Schicht auf Schicht von Pigment und Material in vielen Schritten entstehen. Manchmal beginnt er mit mehreren Bildern gleichzeitig. Der Malvorgang ist langsam und Zeit und Zufall nehmen viel Raum ein. Er verwendet sowohl Öl- als auch Dispersionsfarbe, immer mehr oder weniger verdünnt. Die Farben, die uns anrühren, sind jene von den Dingen, die bleiben oder die verschwunden sind, verblichene Erinnerungen, man könnte sagen « vergangen », und ihre Grundstimmung ergreift uns. Die Farben verdrängen sich nicht. Es kommt vor, daß ein Rot oder ein Blau im Zentrum eines Bildes aufleuchtet, aber immer mit Zurückhaltung.
Manchmal erscheinen hier und da steinerne Objekte, Fossilien, Säulen, Köpfe, eine Treppe, eine Tür. Manfred Schling erklärt, daß solche Arbeiten der Lust am Machen geschuldet sind und der Freude, den Hervorbringungen des Malprozesses zu folgen und Gestalt zu geben, eine Art vorübergehende Abweichung von der Grundrichtung.
Schon 1984 hat der Philosoph Rolf Tiedemann die Kohärenz in Schlings Arbeit wahrgenommen und analysiert:
Sprache und Schrift der Schlingschen Bilder sind keine anderen als die ihrer Materialien; indem aus ihnen das Bild hergestellt wird, werden zugleich sie zum Sprechen gebracht. Beredt sind die Materialien einzig, wo sie nicht bloße Materialien geblieben, sondern Bild geworden sind. (Rolf Tiedemann 1984)
Dieser von Schling unnachlässig verfolgte Dialog mit der Materie verleiht seinem Werk eine große Schönheit und eine machtvolle Ruhe. Man verliert sich nicht in diesem Alphabet von Tönen, von Spuren und Zeichen, die sich entfalten in Nuancen und Details und die erkennbar werden mit der Zeit, die vergeht. In diesem Werk gibt es nichts Zerstörtes, nichts Zerrissenes, kein Drama und kein Bruch, allenfalls Inflexionen und Biegungen.
Das Werk von Schling erzählt eine scheinbar unentzifferbare Geschichte, aber vielleicht erzählt sie, ganz einfach, von dem, was geschieht und sich verändert, ohne laut zu werden, von dem, was erscheint, sich auslöscht, von dem, was bleibt, von den Spuren, die man nicht wiedererkennt, aber von denen wir wissen, daß sie die Unsrigen gewesen sind.